Erik Fosnes Hansen, Choral am Ende der Reise
Erik Fosnes Hansen hat mit Choral am Ende der Reise einen Roman über die Titanic geschrieben, die 1912 mit etwa 1500 Menschen an Bord sank. In den sorgfältig recherchierten historischen Rahmen bettet er die fiktiven Lebenswege seiner sieben Protagonisten aus verschiedenen Ländern ein. Damit zeichnet er ein sozio-kulturelles Panorama Europas zu Beginn
des 20. Jahrhunderts, einer Epoche, die geprägt ist von patriarchalischen Strukturen und Fortschrittsgläubigkeit. Die Havarie der Titanic wird bei Fosnes Hansen zum Symbol für den Untergang dieser Epoche.
Inhalt: Sieben Musiker aus verschiedenen Ländern finden sich auf der Titanic als Ensemble zusammen, um auf der Jungfernfahrt Ragtime, Märsche und Choräle für die Passagiere zu spielen. Jeden der Musiker führt ein besonderes
Schicksal an Bord. Während das Schiff auf die Katastrophe zusteuert, werden ihre Geschichten beleuchtet. Da ist der Kapellmeister Jason Coward aus London, Sohn eines Armenarztes mit einer Begabung für Naturwissenschaften und Musik; der Tod seiner Eltern und der Selbstmord seiner schwangeren Freundin lie-ßen ihn den Glauben an Gott und die Menschen verlieren. Er begann sich gegen seine Umwelt zu stellen und glitt sozial ab. Sein russischer Freund, der Violinist Alexander Bezhnikov, war nach dem Blutsonntag 1905 aus Sankt Petersburg nach London geflüchtet und hatte dabei seinen kleinen Bruder im Stich gelassen. Der kokainsüchtige Pianist, genannt »Spot«, der einst Leo Loewenhaupt hieß, aus Schwaben kam und ein blond gelocktes Wunderkind auf der Geige war, ging seinem Traum nach, Komponist zu werden; er endete arm, erfolglos und von seiner Familie verlassen. Der 18-jährige David Bleiernstern ist ein Jude aus der Wiener Bürgerschicht, dessen einziger Lebensinhalt die Liebe zu einem Mädchen war, das ihn verließ. Eher bizarr ist die Geschichte des alten Petronius Witt aus Rom. Sie handelt von einem seltsamen Vorfahren, der Liebe zum Marionettentheater und einem Geist in seinem Kontrabass. Der irische Bratschist Jim Reel ist gleichermaßen beseelt von dem Gefühl der Angst und der Freiheit auf dem Meer. Er ist befreundet mit dem Cellisten Georges Donner, einem feinsinnigen belesenen Franzosen, der die Kollegen über das Göttergeschlecht der Titanen, den Namensgebern der Titanic, aufklärt und dabei die griechische Mythologie anschaulich und chauvinistisch zugleich auf den Montmartre verlegt. Als auf dem sinkenden Schiff die Panik ausbricht, spielen die Musiker das Largo von Händel, bis auch sie bei dem Versuch sich zu retten getrennt werden....